„Klimaschutz und Rendite sind kein Widerspruch“

Henning Ohlsen

Henning Ohlsen

Zuletzt aktualisiert: 24.08.22

Matthias Kopp, Leiter Sustainable Finance der Umweltschutzorganisation WWF in Deutschland, über die Mitverantwortung der Finanzbranche an der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und wie Anleger ihren Beitrag leisten können, das zu ändern.

Herr Kopp, wie steht der WWF zum Thema Geldanlage?

Geldanlage ist unbestritten eine Notwendigkeit, um zum Beispiel für das Alter vorzusorgen. Aber leider berücksichtigen viele Anleger dabei – bewusst oder unbewusst – nicht die Auswirkungen ihrer Anlageentscheidungen auf die Natur, den Klimawandel oder soziale Aspekte, um nur einige zu nennen.

 

Das müssen Sie erklären.

Wir leben in einer Zeit, in der der Klimawandel unbegrenzbare Ausmaße anzunehmen droht oder die Biodiversität auf der Erde kontinuierlich abnimmt, dass ein Kollaps unserer Lebensgrundlagen und gesamter Ökosysteme droht. Das ist nicht nur für Flora und Fauna katastrophal, sondern insbesondere für die Menschen eine enorme Herausforderung. Der zunehmende Zusammenhang von Eingriffen in Ökosysteme, Vernichtung von Biodiversität und der Verwundbarkeit unserer Gesellschaften wird leider gerade durch die Covid-19-Pandemie deutlich. Das Finanzsystem nimmt bei dieser Entwicklung bislang eine leider unrühmliche Rolle ein, denn in seiner Breite werden noch überwiegend Mittel für übermäßig intensive Ressourcennutzung oder umweltverbrauchende und -verschmutzende Geschäftsmodelle bereitgestellt.

 

Müssen Anleger also ein schlechtes Gewissen haben?

Schlechtes Gewissen ist nicht unbedingt die richtige Kategorie. Wenn sie nur auf die Rendite schauen, können Sie ein schlechtes Gewissen haben. Wichtiger ist mir jedoch, dass Sie damit die eigenen Lebensgrundlagen gefährden. Glücklicherweise beobachten wir zunehmend, dass Aspekte wie Nachhaltigkeit stetig wichtiger werden, wenn auch noch immer auf niedrigem Niveau. Denn tatsächlich ist die Frage der Nachhaltigkeitsperformance bei der Geldanlage essenziell, sie muss die Leitnorm für jede Art von Investment sein. Das wird auch in der Regulierung zunehmend verstanden.

 

Genauso wie Bio bei der Ernährung?

Nicht im direkten Sinn. Bio ist ein Gütesiegel und sie haben eine Ja-Nein-Entscheidung. Wichtig bei der Geldanlage ist aus meiner Sicht, dass Sie Ihre Mittel in Unternehmen oder Projekte investieren, die sich damit so verbessern wollen, wie es Nachhaltigkeitsanforderungen verlangen. Das wäre übertragen der konventionelle Bauer, dem Sie den Übergang ermöglichen. Der Biobauer ist natürlich auch investierbar, nur mit weniger Verbesserungseffekt.

 

Eine gute nachhaltige Geldanlage ist also wie eine fair gehandelte Bioschokolade?

Nicht mit Blick auf den Effekt, sondern das ist eher die „Transitionsschokolade“ auf dem Weg zur fair gehandelten Bioschokolade nach Demeterstandard.

 

„Bei verpflichtenden Vorgaben bin ich skeptisch“

Sollte der Staat die Finanzbranche verpflichten, nachhaltige Produkte auf den Markt zu bringen?

Wenn es um verpflichtende Vorgaben geht, bin ich solange skeptisch, wie die bestehenden Messsysteme nicht vorhanden sind. Grundsätzlich ist die Rolle der Regulierer und der Politik das Setzen eindeutiger Rahmenbedingungen. So müsste es zum Beispiel eindeutige Transparenzregeln und Reporting-Pflichten für Unternehmen geben, nach welchen Zielen sie sich ausrichten und über welche Transformationspfade sie diese erreichen wollen. Damit sind ganz andere Anforderungen verbunden, als heute geübt und genutzt. Wenn von diesen Pfaden abgewichen wird, sanktioniert es der Markt, bei Verstößen auch die Politik. Dann würden sie schon aus eigenem wirtschaftlichen Interesse gar nicht mehr darum herum kommen, ihre Nachhaltigkeitsperformance zu verbessern.

 

Die Folge wäre, dass Anleger keine andere Wahl mehr hätten als nachhaltig zu investieren?

Das stimmt in dem Sinne, dass wir hier über die notwendige Umsteuerung unserer gesamten Wirtschaft sprechen. Wenn sich dieser Prozess in der Breite, nicht in der Nische, abspielt, werden Sie als Anleger irgendwann quasi per „default“ nachhaltig anlegen. Zunächst werden sich noch immer Differenzierungen ergeben. Sie sehen diese Ansätze auch schon in der europäischen Regulierung ankommen, insofern hoffe ich tatsächlich, dass wir hier die große Chance nutzen. Unternehmen mit schlechter Nachhaltigkeitsperformance – also keiner 1,5 Grad-Klimastrategie, oder die die SDGs der Vereinten Nationen verletzen – werden dann zwangsläufig zu Underperformern, weil sie schlecht mit Risiken umgehen. Vorbildliche Unternehmen werden profitieren und sollten dann auch an der Börse deutlich besser abschneiden.

 

Was können Anleger tun, bis es soweit ist?

Der Prozess ist im Gange, es gibt keinen Grund zu warten. Unternehmen und Anleger sollten die Verantwortung auch nicht einfach auf die Politik abwälzen. Alle Akteure an den Kapitalmärkten sind gefragt, die notwendigen Entwicklungen proaktiv in die Anlagestrategie zu integrieren und damit die Situation zu verbessern. Anleger müssen im eigenen Interesse Unternehmen genau auf Fragen der Nachhaltigkeitsperformance ansehen, die für sie als Investment in Frage kommen. Sie müssen kritische Fragen stellen. Sind die Nachhaltigkeitsziele, die sich die Firma gesetzt hat, in Einklang mit dem, was zum Beispiel die Klimawissenschaft ausweist? Lässt sich die Umsetzung der Ziele plausibel und vernünftig nachvollziehen? Das Bewusstsein, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen, ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Das stimmt mich sehr optimistisch.

 

Nachhaltige Anlagen performen nicht schlechter als konventionelle

Was, wenn Anleger keine Lust oder keine Zeit haben, sich so eingehend damit zu beschäftigen?

Dann sollten sie sich die Mühe machen, einen seriösen und zuverlässigen professionellen Partner zu wählen, der ihr Geld in diesem Sinne verwaltet. Das geht natürlich auch.

Jetzt persönliche Anlagestrategie erstellen

 

Für viele Menschen scheinen Klimawandel und Umweltzerstörung kein Grund, etwas an ihrem Anlageverhalten zu ändern.

Das liegt an der Kombination fehlender Akzeptanz der Konsequenzen der anstehenden Transformationen, das heißt, sie wird nicht geglaubt, und in vielen Fällen mangelnder Finanzbildung im Sinne der Risiken und Auswirkungen, die damit verbunden sind. Die noch Mehrzahl der Anleger, professionelle und private, schauen bei Nachhaltigkeit auf vergangenheitsbezogene Informationen. Daraus kann man auf großen Verschmutzer schließen, hat aber keine Sicht auf die Verbesserungspläne, die in der Zukunft wirken werden. Damit werden falsche Entscheidungen insofern getroffen, als dass Unternehmen gemieden werden. Viele glauben zudem noch immer, mit nachhaltigen Geldanlagen seien Abstriche bei der Rendite zwingend einzugehen. Das diese weitverbreitete Schlussfolgerung falsch ist belegen genügend Studien, wir haben auch darüber gesprochen.

 

Bewirkt jeder Einzelne, der sein Geld nachhaltig investiert, tatsächlich etwas Positives für den Amazonas-Regenwald oder die Weltmeere?

Auf jeden Fall. Denn je mehr Anleger ihr Geld mit der angesprochenen nachhaltigen Wirkung investieren, desto stärker geraten Unternehmen unter Druck, die sich nicht ausreichend um ökologische oder ethische Belange scheren. In der Summe können Anleger also eine Menge positiv beeinflussen.

 

Neue Standards sollen für mehr Transparenz sorgen

Wie ist es um die Transparenz nachhaltiger Angebote bestellt?

Noch ist das Angebot für Anleger verwirrend, weil es sehr viele verschiedene Kriterien und Labels gibt. Außerdem sind die meisten Angebote eben keine „Transformations-Produkte“. Deswegen finde ich es sehr begrüßenswert, dass Brüssel das Thema in die Hand genommen hat und unter dem Stichwort Taxonomie die Einführung eines EU-weiten Standards für die Definition dessen, was als umweltnachhaltig gelten soll, entwickelt. Die Taxonomie kann für deutlich mehr Klarheit sorgen, sie ist allerdings noch nicht ausentwickelt und der Teufel steckt schon im Detail. Schon heute gibt es einige Produkte, die sich der Transformation widmen, und auch Labelansätze. In Deutschland passieren die Fortschritte leider langsamer als in anderen Ländern. Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, Schweden oder die Schweiz sind bezogen auf die Ambition und Aktivitäten hier schon deutlich weiter.

Jetzt persönliche Anlagestrategie erstellen

 

Welche Labels sind denn aus Ihrer Sicht empfehlenswert?

Nichts falsch im Sinne des Vermeidens von Schadeffekten machen Anleger zum Beispiel, wenn sie sich an das Siegel des Forums für Nachhaltige Geldanlage (FNG) halten. Produkte, die deren Siegel tragen, sind auf verschiedene Anforderungen geprüft. Auch andere Produkte, wie börsengehandelte Indexfonds (ETFs) können bezogen auf die Qualität der Nachhaltigkeitskriterien genauso gut sein. Es bleibt festzuhalten, dass es heute keine belastbaren „Transformations- oder Fortschrittslabels“ gibt.

 

Wie ist es mit Einzelinvestments? Gibt es „gute“ und „schlechte“ Unternehmen?

Ja, aber das ist gar nicht so eindeutig. Nehmen Sie beispielsweise VW und Tesla. Was denken Sie? Welcher der beiden Autohersteller ist unter dem Gesichtspunkt Nachhaltigkeitsverbesserung den größeren Beitrag?

 

Tesla natürlich. Oder etwa nicht?

Das ist eben die Frage: Aus meiner Sicht hat Tesla zweifellos eine Produktpalette, die klimagerecht ist. Tesla hat auch die Strukturen der Automobilindustrie mächtig verändert. Allein ist Tesla allerdings zu klein, dass der Effekt nicht ausreicht. Bei VW dagegen bewirken Änderungen über die reine Skalierung und Größe viel. Anleger können dort also letztlich vermutlich viel mehr bewirken. Diese Entscheidung muss natürlich jeder Anleger für sich treffen. Entscheidend ist, dass Anleger sich mit dieser Frage auseinandersetzen und die richtigen Informationen zu Rate zieht, um sich selbst ein ungetrübtes Bild zu machen.

 

Wie können Anleger konkret vorgehen, um fundierte Entscheidungen zu treffen?

Sie sollten in die Geschäftsberichte schauen, was darin zum Thema Nachhaltigkeit, Zielen, Umsetzungsstrategien und Pfaden gesagt wird. Das wird vermutlich heute in den wenigsten Fällen reichen. Wichtig sind auch unabhängige Studien. Und Anleger sollen kritisch nachfragen. Zum Beispiel auf der Hauptversammlung oder als professionelle in den üblichen Vorstandsgesprächen. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, sich zu informieren. Jedes größere Unternehmen hat eine Investor-Relations-Abteilung, die jeder Anleger jederzeit anrufen kann. Auch darüber können Signale an das Management gesendet werden. Wenn Unternehmen unzureichende Nachhaltigkeitsperformance zeigen, steht auch das Divestment im Raum. Es wird vermutlich nur Effekte haben, wenn sich hier kritische Größenordnungen an Anlegern laut und sichtbar zu Wort melden. Verschiedene Impulse müssen auf das System wirken, damit es langfristig zu den Strukturveränderungen führt, die so dringend notwendig sind.

Inhalt

Lesedauer: 5 min.


Sie möchten noch mehr erfahren?

Ein persönlicher Ansprechpartner beantwortet gerne all Ihre Fragen rund um Vermögensverwaltung und das LIQID Wealth Angebot. Buchen Sie sich einfach einen passenden Termin.
Telefonat oder Video-Call vereinbaren

Lernen Sie mehr zu diesem Thema

Grüne Aktienfonds und ESG-Anlagestrategie – sinnvoll?

Für immer mehr Anleger spielen nicht nur Zinsen und Dividenden, sondern auch ökologische und soziale Kriterien eine...

So funktioniert LIQID Impact

Der Klimawandel macht es erforderlich, nachhaltiger mit Ressourcen und schonender mit der Umwelt umzugehen. LIQID trägt...

Mit nachhaltigen Investments zum Klimaschutz beitragen

Immer mehr Anleger wollen mit Ihrem Geld nicht nur Rendite erzielen, sondern auch etwas Positives für die Umwelt oder...