Venture Capital: Krise oder gesunde Korrektur?

Henning Ohlsen

Henning Ohlsen

Zuletzt aktualisiert: 16.09.22

Die aktuelle Marktkorrektur betrifft nicht nur die Börsen, sondern beeinflusst auch die Entwicklung von Venture Capital. Sollten sich Investoren deshalb Sorgen machen? Was können Anleger von den kommenden Quartalen erwarten, wenn sich die VC-Branche an die neue Realität anpasst? Darüber sprechen Christian Schneider-Sickert, Gründer und CEO von LIQID, Moritz von Rhein, Head of Private Markets bei LIQID, und Heinrich Riehl, Director of Fundraising and Client Services bei VenCap.

 

Herr Schneider-Sickert, Sie haben vor Kurzem in einem Gastbeitrag für die Börsen-Zeitung geschrieben, der Start-up-Boom sei vorbei, Venture Capital aber nicht. Wie sieht der Markt denn derzeit aus?

Christian Schneider-Sickert: Wir kommen aus einer Phase, in der es überdurchschnittlich viele Unternehmen in sehr kurzer Zeit geschafft haben, zu Unicorns, also Firmen mit einer Bewertung von mehr als 1 Milliarde US-Dollar, zu werden. Während 2020 nur 168 Unternehmen diesen Status erlangten, waren es 2021 über 600. In meinen Augen handelt es sich daher bei dem Abschwung, den wir seit Anfang dieses Jahres erleben, um eine gesunde Korrektur, nicht aber um das Ende der Erfolgsgeschichte von Venture Capital. Statt um den schnellen Exit geht es jetzt wieder um die Finanzierung von disruptiven Geschäftsmodellen, harte Arbeit und langfristigen Erfolg.

 

Herr von Rhein, wo stehen wir denn jetzt? Sind die Bewertungen wieder fair?

Moritz von Rhein: Sagen wir es mal so: Es ist eine herausfordernde Zeit für Investoren, die aber nach wie vor Chancen bereithält. Viele Unternehmen werden aktuell deutlich niedriger bewertet als noch zu Jahresbeginn. Am einfachsten lässt sich das an inzwischen öffentlich gelisteten Unternehmen nachvollziehen. Im Bessemer Emerging Cloud Index sind viele Tech-Unternehmen enthalten, die Venture-Capital-finanziert waren und kürzlich an die Börse gegangen sind, darunter Cloudflare, Dropbox und Snowflake. Dieser Index hat seit seinem Höchststand im November 2021 rund 60 Prozent nachgegeben. Dabei betrug das Umsatzwachstum der Unternehmen bisher durchschnittlich 37,6 Prozent pro Jahr. Rund zwei Drittel der Unternehmen haben einen positiven Cashflow. Es ist also nicht so, dass die Mehrheit der Firmen in dem Index kurz vor der Pleite stünde – im Gegenteil, den meisten geht es gut, sie wachsen nach wie vor.

 

Wie Venture-Capital-Gesellschaften auf den Abschwung reagieren

Herr Riehl, für das Venture-Capital-Programm von LIQID arbeiten Sie mit vielen Fonds zusammen. Wie reagieren VC-Gesellschaften auf die aktuelle Entwicklung?

Heinrich Riehl: Die Investments sind in der ersten Jahreshälfte 2022 um etwa 25 Prozent zurückgegangen. Besonders stark ist der Rückgang in den Bereichen Growth und Consumer. Wir beobachten, dass sich vor allem unerfahrene VC-Manager und solche ohne klar definierte Strategie derzeit zurückhalten. Die Core Manager bei VenCap gehören nicht dazu. Sie haben schon jede Marktphase miterlebt und wissen mit der aktuellen Lage umzugehen.

 

Welchen Einfluss hat der Abschwung denn auf die Portfolios von VenCap?

Heinrich Riehl: Grundsätzlich korreliert Venture Capital nur wenig mit der Börse. Das liegt unter anderem daran, dass Start-ups anhand ihrer letzten Finanzierungsrunde bewertet werden. Die meisten unserer Portfoliounternehmen sind sehr gut finanziert – sie haben von den hohen Bewertungen der vergangenen 18 Monate profitiert. Sie haben also genug Kapital, um die schwierige Phase nicht nur zu überstehen, sondern gestärkt daraus hervorzugehen.

 

Sind alle Fondsgesellschaften so zuversichtlich? Oder gibt es Unterschiede in der Branche?

Moritz von Rhein: Es gibt gewaltige Unterschiede. Fonds, die ihr gesamtes Kapital in 2020 oder 2021 investiert haben, stehen jetzt natürlich schlechter da als diejenigen, die ihre Investitionen über mehrere Jahre verteilt haben. Daher ist die Diversifikation über Vintage-Jahre hinweg sehr wichtig.

 

Sind volatile Phasen gute Einstiegszeitpunkte?

Nach Dotcom-Crash, Finanzkrise und anderen Ereignissen hätte eine weitere Korrektur aber doch keine Überraschung für die VC-Industrie sein dürfen, oder?strong>

Christian Schneider-Sickert: Da haben Sie recht. Aber hier trennt sich eben die Spreu vom Weizen. Fonds, die jetzt zu den günstigeren Bewertungen investieren können, sind natürlich im Vorteil. Aus der Vergangenheit wissen wir auch, dass Fonds, die in einer Phase eines Abschwungs aufgelegt wurden, die höheren Renditen erzielt haben.

 

Heißt das, man sollte bei einer Investition in Venture Capital immer zunächst eine Krise abwarten?

Christian Schneider-Sickert: Ganz so ist es natürlich nicht. Niemand kann vorhersagen, wann die nächste Krise kommt, so dass das eigene Kapital dann unter Umständen sehr lange ungenutzt auf dem Konto liegen würde. Tatsächlich ist es in der Venture-Capital-Branche aber so, dass es einige Manager gibt, die den Markt kontinuierlich outperformen. Das heißt: Fondsmanager, die in der Vergangenheit zum besten Quartil zählten, schafften dies auch häufig mit ihren Folgefonds. In keiner anderen Anlageklasse ist diese Performance-Konsistenz so signifikant wie bei Venture Capital. Dagegen bleiben schwächere Manager meist auch in der neuen Fondsgeneration zurück.

 

Was zeichnet die erfolgreichsten VC-Fonds denn aus, außer dass sie oft in einer Krise aufgelegt werden?

Moritz von Rhein: Ganz entscheidend ist der Zugang zu den besten Gründern und Start-ups. Oft sind nur ein bis zwei Investments eines Fonds sind, die das gesamte Fondsvolumen tragen. Das heißt, häufig sind es nur ein oder zwei Start-ups, die sich so stark entwickeln, dass sich das eingesetzte Kapital der Investoren vervielfacht. Diese Start-ups nennt man Fund-Returner. Um Unternehmen mit derartigem Potenzial frühzeitig zu identifizieren, benötigen VC-Investoren viel Erfahrung und ein großes Netzwerk. Außerdem müssen sie in der Branche auch die entsprechende Reputation haben, um als Partner für die Gründer interessant zu sein. Dabei geht es nicht nur um die finanzielle Unterstützung, sondern auch um die Expertise und die Kontakte des Fondsmanagers. Es gibt einzelne, bekannte VC-Fonds, die dann als “Qualitätssiegel” für weitere Investoren dienen und auch deshalb bei Gründern besonders beliebt sind.

 

Können Sie uns ein Beispiel für einen “Fund-Returner” geben?

Heinrich Riehl: Ein Beispiel für ein solch extrem erfolgreiches Investment liefert die Venture-Capital-Gesellschaft Redpoint mit ihrem Investment in Snowflake, ein Cloud-Unternehmen aus Kalifornien. Redpoint hat im Oktober 2014 in das Start-up, das damals mit 75 Millionen US-Dollar bewertet war, investiert und es weiterentwickelt. Bei seinem Börsengang sechs Jahre später hat Snowflake eine Bewertung von 33,2 Milliarden US-Dollar erreicht. Heute ist das Unternehmen über 60 Milliarden US-Dollar wert. Damit hat sich der Unternehmenswert verachthundertfacht.

 

Einige Analysten warnen vor einer längeren Rezession. Was würde das für Venture Capital bedeuten?

Heinrich Riehl: Viele junge Unternehmen würden in einer längeren Rezession auf eine harte Probe gestellt werden, besonders im Consumer-Bereich. Dies liegt zum einen daran, dass Konsumenten ihre Kaufentscheidungen verschieben. Zum anderen stiegen zuletzt die Akquisitionskosten für Neukunden deutlich. Aber auch Software-as-a-Service-Unternehmen, die ihre Tools an Unternehmen aus der Consumer-Industrie verkaufen, würden leiden. Für alle gilt, dass Käufe und Investitionen tendenziell aufgeschoben werden.

 

Und auf Fondsebene?

Heinrich Riehl: Auf Fondsebene besteht das Risiko, dass die Rate der Start-ups, die die in sie getätigten Investitionen nicht zurückverdienen können, steigt. Für die Vintage-Jahre 2022 und 2023 sehe ich dieses Risiko aber nicht, sondern eher für Fonds, die zwischen 2019 und 2021 aufgelegt wurden und bereits vollständig investiert sind.

 

Mehr Zeit, um Investmententscheidungen zu treffen

In den vergangenen 18 Monaten haben Venture-Capital-Fonds sehr viel Kapital eingesammelt. Wird uns der hohe Bestand an Dry Powder retten?

Heinrich Riehl: Es stimmt, viele Fonds haben erhebliche Reserven. Das ist auf jeden Fall positiv. Sie haben jetzt auch deutlich mehr Zeit, um ihre Due-Diligence-Prüfungen durchzuführen, sich mit den Gründungs-Teams zu beschäftigen und ihre Investmententscheidungen zu hinterfragen. Denn es herrscht etwas weniger Konkurrenz im Kampf um die besten Start-ups.

 

Was sollten wir für Kapitalabrufe und Ausschüttungen erwarten?

Moritz von Rhein: Das kommt auf die Branche an. Im Growth-Bereich bewegt sich derzeit kaum etwas, und Start-ups in diesem Bereich haben es schwer, an neues Kapital zu kommen. Investoren drängen ihre Beteiligungen in diesem Segment aktuell in Richtung Profitabilität. Sofern sich das Marktumfeld nicht ändert, werden wir in den nächsten Monaten nicht viele Börsengänge erleben. Das bedeutet, Start-ups bleiben länger in privater Hand. Rückflüsse an die Fonds könnten sich also verzögern.

 

Ist der Tech-Trend also vorbei?

Christian Schneider-Sickert: Das hätte man nach dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 auch schon prognostizieren können. Aber dann hätte man Beteiligungen an Unternehmen wie Google, Facebook oder Amazon verpasst. Also nein, ich glaube nicht, dass die Tech-Branche am Ende ist. Tech ist der mit Abstand größte Bereich für Venture-Capital-Investoren, und das wird auch so bleiben. Fast jedes Unternehmen gehört heute zur Tech-Branche oder ist mit ihr verflochten.

 

Was müssen Unternehmen konkret tun, um die aktuelle Phase zu überstehen?

Heinrich Riehl: Die besten Unternehmen werden ihre Wettbewerbssituation in der aktuellen Lage verbessern, davon bin ich überzeugt. Vor allem werden sie ihre Effizienz steigern müssen. Das bedeutet, genau hinzuschauen, wo sich Ausgaben wirklich lohnen und wo sie Einsparpotenzial haben. Dann kommen noch die eingangs von Herrn Schneider-Sickert erwähnten Tugenden hinzu, wie hart zu arbeiten und sich auf den langfristigen Erfolg zu fokussieren.

 

Wie Privatanleger die deutlich zurückgegangenen Bewertungen nutzen können

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung der Märkte ein?

Heinrich Riehl: Ob wir den Boden der Korrektur schon erreicht haben, wissen wir natürlich nicht. Aber der Markt wird die derzeitigen Herausforderungen meistern und wieder steigen. Die deutlich zurückgegangenen Bewertungen stellen für mich daher einen günstigen Einstiegszeitpunkt dar, denn der Technologiebereich wird noch größer werden. Für Fonds mit dem entsprechenden Know-how und der Erfahrung, um die besten Start-ups und Gründer zu identifizieren, erwarte ich starke Jahre.

 

Können Privatanleger auch von diesem günstigen Einstiegszeitpunkt in Venture profitieren? Oder müssen sie täglich die Börsenkurse verfolgen?

Moritz von Rhein: Auf eigene Faust in einzelne Start-ups zu investieren, ist in der Regel nicht der beste Weg, da den meisten Privatanlegern das von Herrn Riehl angesprochene Know-how und die Erfahrung fehlen. Ein breites Portfolio an Angel-Investments macht viel Arbeit und erfordert mehr Geld, als die meisten zu investieren bereit sind. Es ist einfacher, in VC-Fonds zu investieren. Der Zugang zu den besten der Branche bleibt Privatanlegern allerdings verwehrt. Die erfolgreichsten Fonds sind immer überzeichnet und haben einen festen Pool an Bestandsinvestoren. Auf neue Anleger sind sie nicht angewiesen. Unser VC-Programm LIQID Venture, das wir zusammen mit VenCap aufgesetzt haben, schafft hier Abhilfe: Bereits ab 200.000 Euro können erfahrene Privatanleger mit LIQID Venture in eine Auswahl der erfolgreichsten VC-Manager der vergangenen Jahre investieren. Das Portfolio ist breit diversifiziert und wird von uns laufend überwacht.

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