„Sell in May” – fundierte Börsenstrategie oder überholter Mythos?

„Sell in May” – fundierte Börsenstrategie oder überholter Mythos?
Jedes Jahr im Mai taucht sie wieder auf: die alte Börsenweisheit vom Ausstieg zur Sommerzeit. Doch lohnt sich „Sell in May“ wirklich – oder kostet sie Anleger mehr, als sie schützt? Wir beleuchten Fakten, Timing-Fallen und bessere Alternativen.
6.5.2025
Svea Sturm

Wenn die Tage länger und die Temperaturen wärmer werden, dann ist auch ein alter Bekannter nicht mehr weit: die Börsenweisheit „sell in May and go away, but remember to come back in September.” Gemeint ist: Anleger sollten im Mai aus dem Markt aussteigen, um renditeschwache Sommermonate zu vermeiden, und erst im Herbst wieder einsteigen. Doch wie viel Wahrheit steckt hinter diesem Ratschlag – und ist er 2025 überhaupt noch relevant?

Historische Ursprünge

Die Redewendung stammt ursprünglich aus dem britischen Börsenumfeld und wurde erstmals im 18. Jahrhundert dokumentiert. Damals verabschiedete sich die Londoner Finanzelite über die Sommermonate aus der Stadt – und mit ihr verschwand auch das Handelsvolumen. Das Muster blieb erhalten: In vielen historischen Zeitreihen zeigen sich im Sommer tendenziell schwächere Aktienrenditen.

Langfristige Daten: Gibt es saisonale Muster?

So ist in vielen Industrieländern die Phase von November bis April historisch gesehen ertragreicher als die Monate Mai bis Oktober. Eine Analyse zeigt beispielsweise, dass der MSCI World seit 1999 in den Wintermonaten deutlich mehr zulegte als während der Sommermonate.

Quelle: LIQID, Bloomberg, VermögensZentrum. Stand: 30. April 2025. Historische Entwicklungen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.

Doch der Effekt ist längst nicht in allen Jahren stabil und gilt auch nicht für alle Märkte gleichermaßen. In den USA, wo etwa der S&P 500 seit Jahren von starken Technologiewerten getrieben wird, sind saisonale Effekte in den letzten Jahren deutlich weniger ausgeprägt.

2025: Ein anderer Kontext

Der Mai 2025 startet in einem wirtschaftlich und geopolitisch spannungsgeladenen Umfeld:

  • Die Weltwirtschaft zeigt sich robust, aber nicht mehr überschwänglich.
  • Die US-Notenbank blieb bisher mit Zinslockerungen vorsichtiger, aufgrund aufkeimender Inflationssorgen.
  • Die Wiederwahl Donald Trumps sorgt für Unsicherheit in der Handelspolitik.
  • Die KI-Rally befeuert Technologiewerte, auch im Sommer.

In diesem Umfeld scheint ein pauschaler Ausstieg im Mai kaum sinnvoll – denn es droht die Gefahr, bedeutende Kursgewinne zu verpassen.

Timing ist schwierig – auch im Mai

Die größte Schwäche der „Sell-in-May“-Strategie bleibt ihr einfaches Timing-Modell. Studien zeigen: Wer regelmäßig versucht, den perfekten Ein- und Ausstiegszeitpunkt zu treffen, verpasst häufig die besten Börsentage – die oft überraschend und kurzlebig sind.

Quelle: LIQID, Bloomberg. Die Renditeberechnung basiert auf dem MSCI ACWI Net Total Return Index. Zeitraum:31.12.2004–10.04.2025. Indexiert auf 100. Verpasste Tage wurden durch dasHalten von Cash simuliert mit Tagesrenditen von 0 Prozent. Historische Entwicklungen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.

Ein Beispiel: 2020 zählte trotz Pandemie ausgerechnet der Mai zu den besten Börsenmonaten, als Notenbanken und Staaten massive Hilfspakete auflegten. Der DAX und der S&P 500 erzielten starke Renditen von 6,7 Prozent bzw. 3,2 Prozent im Mai 2020. 

Langfristige Strategien schlagen Kalenderlogik

Die Mehrheit der Finanzexperten empfiehlt daher, an der eigenen langfristigen Anlagestrategie festzuhalten. Ein gut diversifiziertes Portfolio, das breit über Regionen und Anlageklassen streut, ist resistenter gegenüber saisonalen Schwankungen. Wer im Mai verkauft und im Herbst wieder einsteigt, läuft zudem Gefahr, durch Steuern, Transaktionskosten und verpasste Dividenden unter dem Strich schlechter abzuschneiden.

Gut zu wissen: Das Smart Money, also professionelle Anleger wie Family Offices und Universitätsstiftungen, setzt neben Aktien und Anleihen verstärkt auf Private Equity, um langfristig höhere und stabilere Renditen zu erzielen. Mehr erfahren.

Fazit: Mehr Mythos als Methode

„Sell in May and go away“ mag historisch unterhaltsam und in bestimmten Jahrzehnten auch statistisch belegbar sein – als zuverlässige Strategie für heutige Anleger taugt sie jedoch kaum.

Gerade 2025, in einem von Unsicherheit und Volatilität geprägten Börsenumfeld, ist es wichtiger denn je, investiert zu bleiben, diszipliniert zu handeln und saisonale Börsenweisheiten mit Vorsicht zu genießen. Denn wie so oft an der Börse gilt: Es sind nicht die Sprüche, die Renditen bringen – sondern Geduld, Strategie und Diversifikation.

Svea Sturm

Investment Analyst, Investment Product und Marketing, LIQID

Svea ist Investment Analystin in der Schnittstelle zwischen den Investment und Marketing Teams. Sie erstellt Marktanalysen über Kapitalmärkte und Private Markets für interne und externe Kommunikation. Dabei fokussiert sie sich vor allem auf die Erstellung von kundenfokussiertem Content.