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Ausblick 2024: Herausforderungen und Chancen

LIQID Smart Letter

Januar 2024

Das Wichtigste in Kürze: 

  • Die Weltwirtschaft wird im Jahr 2024 die Folgen der rekordverdächtigen Zinswende zu spüren bekommen. Nachdem in 2023 die Inflation im Fokus stand, dürfte im neuen Jahr der Wirtschaftszyklus im Mittelpunkt stehen.
  • Für Aktien ergibt sich damit zunächst ein anspruchsvolles Umfeld. Die Aussicht auf nicht weiter steigende Zinsen und nachlassende Inflation bietet aber auch Potenzial für eine gute Entwicklung.
  • Bei Anleihen sehen wir ein gegenüber dem Vorjahr deutlich verbessertes Renditepotenzial. Wir rechnen damit, dass sich die Zinsstrukturkurve normalisiert und Anleihen die Schwächephase hinter sich haben.
  • Im Portfoliokontext halten wir ein systematisches Risikomanagement und eine breite Diversifikation für essenziell. Die Beimischung von unkorrelierten Anlagen wie Private Markets, Rohstoffen und Hedgefonds in einem Portfolio ist eine Strategie, die auch 2024 relevant sein wird.

Das Börsenjahr 2023 war turbulent und von einigen Überraschungen geprägt. Für Anleger endet das Jahr insgesamt mit einem sehr erfreulichen Ergebnis. Die Aktienmärkte waren nach Verlusten im Vorjahr fulminant in das Jahr 2023 gestartet, was durch positive Überraschungen bei Konjunkturdaten und Gewinnmeldungen der Unternehmen gestützt wurde. Anschließend trug unter anderem der Siegeszug der Künstlichen Intelligenz (KI) dazu bei, dass die Kurse von US-Technologiewerten mit hoher Marktkapitalisierung im ersten Halbjahr weiter stiegen. Nachdem sich Aktien im dritten Quartal eher seitwärts bewegt hatten, kam es ab November zu einer Rally auf breiter Front. Sinkende Inflationsraten und die Aussicht auf Leitzinssenkungen im neuen Jahr sorgten im Schlussquartal für deutliche Kurszuwächse bei Aktien und Anleihen. 

Das Jahr 2024 verspricht, einen Wendepunkt für Anleger einzuläuten. Während sich in diesem Jahr die Diskussion um den Inflationszyklus und die Frage drehte, ob die Inflation ihren Höhepunkt erreicht hat, dürfte 2024 der Wachstumszyklus im Mittelpunkt stehen. 

Für Unsicherheit könnte die Geopolitik sorgen, deren Tragweite die Eskalation des Nahostkonflikts unterstrichen hat. Für Unternehmen steigt die Bedeutung robuster Lieferketten, geringeren Abhängigkeiten und Ressourcensicherheit. In 40 Ländern, die 40 Prozent der Bevölkerung, 60 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) und 80 Prozent der Börsenkapitalisierung repräsentieren, werden 2024 Wahlen abgehalten. Im Fokus stehen dabei natürlich die USA, wo im November die Präsidentschafts- und Kongresswahlen stattfinden. Angesichts der Bedeutung der USA für die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte ist dies sicherlich das wichtigste „bekannte” Ereignis im Jahr 2024. 

Weltwirtschaftsaus­­­blick: Wo stehen wir heute?

Die Entwicklung der Weltwirtschaft in Folge der Zinswende überraschte Beobachter. Nach dem drastischen Anstieg der Leitzinsen waren sich Analysten sicher, dass in den USA im ersten Halbjahr 2023 eine Rezession droht. Aus heutiger Perspektive entwickelte sich die Weltwirtschaft jedoch ganz anders: Die USA verzeichneten das ganze Jahr über ein moderates Wirtschaftswachstum, das von Staatsaufgaben und einem anhaltend robusten Konsum gestützt wurde. Die von vielen erwartete Wirtschaftserholung in China schwächte sich hingegen rasch ab. Stattdessen kam es zu einer Verlangsamung, die das globale Wachstum und insbesondere eng verflochtene Ökonomien wie die Eurozone belastete. Europas Wirtschaft war wiederum zuvor bereits stark durch den Krieg in der Ukraine und die Preisexplosion beim Erdgas in Mitleidenschaft gezogen worden.

Erleben wir 2024 eine „Stagflation”?

Im kommenden Jahr wird die Weltwirtschaft die wahren Kosten der rekordverdächtigen geldpolitischen Straffung in den Jahren 2022-2023 zu spüren bekommen. Wir erwarten zumindest in der ersten Hälfte des Jahres 2024 eine „Stagflation”. Dieses Szenario beschreibt einen Zustand, in dem langsames Wirtschaftswachstum (Stagnation), steigende Preise (Inflation) und zunehmende Arbeitslosigkeit gleichzeitig auftreten. Für ein stagnierendes Wirtschaftswachstum sprechen die hohen Kapitalkosten, die schleppende Gesamtnachfrage und der abkühlende Arbeitsmarkt. Die Inflation hat zwar ihren Höhepunkt überschritten, verharrt aber auf einem unangenehm hohen Niveau und untergräbt damit die Kaufkraft der Verbraucher. Der Weg aus diesem Szenario wird Geduld erfordern. Wir erwarten zumindest in der ersten Hälfte des Jahres 2024 ein schwaches Wachstum in den USA und eine relativ schlechtere Entwicklung im Euroraum, was auch auf die anhaltende Wachstumsabkühlung in China zurückzuführen ist. Was die Leitzinsen angeht, rechnen wir damit, dass der straffe geldpolitische Kurs mindestens über das erste Halbjahr 2024 beibehalten wird.

Aktien: Ein anspruchsvolles Umfeld

Das Jahr 2023 war herausfordernd; für Aktienanleger aber auch überraschend gut. Die robuste Konjunktur in den USA überraschte die Marktteilnehmer positiv. Mit dem Zins-Mantra „höher für länger” hatten dagegen viele nicht gerechnet. In Anbetracht der stärksten geldpolitischen Straffung der US-Notenbank (FED) seit 40 Jahren hielten sich die Aktienkurse allerdings sehr gut. Dafür sorgten auch die massiven Staatsausgaben, die im letzten Jahr 44 Prozent des BIPs ausmachten – ein Niveau, das mit dem während des Zweiten Weltkriegs vergleichbar ist.

Gewinnwachstum in einer wachstumsschwachen Welt

Für 2024 gehen wir davon aus, dass die höheren Zinsen weiterhin eine starke Gravitationskraft entfalten werden. Wir rechnen damit, dass die Zinsen das Wirtschaftswachstum bremsen und leiten daraus eine vorsichtige Einschätzung für die Anlageklasse Aktien ab. Was das für diversifizierte Portfolios heißt, zeigt der Blick auf die Aktienrisikoprämie – also die Gewinnrendite von Aktien minus der erwarteten Anleihenrendite – in den USA. Diese ist auf den tiefsten Stand seit 20 Jahren gefallen (Abb. 1). Damit werden Anleger für das Eingehen von Aktienrisiken relativ zu Anleihenrisiken im Moment nicht angemessen entschädigt.

Quelle: LIQID, Bloomberg. Aktienrisikoprämie in Basispunkten, berechnet als Differenz zwischen der Gewinnrendite des S&P 500 Index und der Umlaufrendite 5-jähriger Staatsanleihen. Zeitraum: 28.12.2000 – 28.12.2023.

In einer vereinfachten Betrachtung gibt es zwei Treiber für die Aktienkurse: Erstens das Gewinnwachstum und zweitens Änderungen der Bewertung, beispielsweise des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV). Legt ein Aktienindex in einem Jahr um 10 Prozent zu, kann dies auf ein Gewinnwachstum von 10 Prozent bei gleichbleibender Bewertung, eine KGV-Bewertungsausweitung um 10 Prozent bei gleichbleibenden Gewinnen, oder auf eine Kombination von beidem zurückzuführen sein. Ein mögliches Erfolgsrezept für 2024 könnte daher sein, auch defensive Aktien im Portfolio zu haben und in Unternehmen investiert zu sein, die auch in einer wachstumsschwachen Welt ein solides Umsatz- und Gewinnwachstum erzielen können.

Anleihen: Das Zinshoch ist erreicht

Die Zinserhöhungszyklus im Jahr 2023 war so heftig und ausgeprägt, wie seit Anfang der 1980er-Jahre nicht mehr. Die damalige Zinserhöhung ist heute als Volcker-Ära bekannt (Paul A. Volcker war von 1979 bis 1987 Vorsitzender des Board of Governors des Federal Reserve Systems). Als Folge davon bewegten sich die Anleihenkurse trotz deutlich gestiegener Ablaufrenditen den Großteil des Jahres eher seitwärts. In den letzten Wochen des Jahres kam es schließlich zu einstelligen Kursgewinnen.

Quelle: LIQID, Bloomberg. Jährliche Renditen des Bloomberg US Agg Index. Zeitraum: 1977 – 2023.

Die Anleihenmärkte haben eine außergewöhnliche Schwächephase hinter sich (s. Abb. 2). Legt man eine breite US-Benchmark für festverzinsliche Wertpapiere zugrunde, die bis Mitte der 1970er Jahre zurückreicht, so hat diese Anlageklasse bis 2021 (und 2022) noch nie zwei aufeinanderfolgende Jahre mit negativen Renditen erlebt. Und auch 2023 war ein schwaches Jahr für Anleihen. 

Ist die Trendwende in Sicht?

Für das kommende Jahr sehen wir zwei zentrale Punkte, die in den Fokus rücken werden. Erstens gehen wir davon aus, dass sich die Zentralbanken im Jahr 2024 von ihrer restriktiven Haltung verabschieden werden. Das bedeutet, dass der Fokus weniger auf einer Eindämmung der Inflation und mehr auf einer Unterstützung der Wirtschaft liegen dürfte. Zweitens erwarten wir, dass der Fokus der Märkte weniger auf Zinsänderungsrisiken und mehr auf Kreditrisiken liegen wird.

Gegenüber dem Vorjahr sehen wir für die meisten Anleihen-Segmente auf Jahressicht ein deutlich verbessertes Renditepotenzial. Denn der „Zinsgipfel” ist mittlerweile erreicht, sodass wir für das kommende Jahr nicht mehr mit Leitzinserhöhungen der großen Notenbanken rechnen. Stattdessen versuchen die Notenbanken sich restriktiv zu äußern, um zu verhindern, dass die Märkte zu frühe Leitzinssenkungen einpreisen. Getreu dem bereits in den letzten Monaten aufgekommenen Mantra „höher für länger“ rechnen wir für die nächsten zwei Quartale mit stabilen Leitzinsen auf den aktuellen Niveaus, bevor ab Mitte 2024 erste Zinssenkungen in den Fokus rücken. Da wir in den USA mit einer „sanften Landung“ der Wirtschaft rechnen, dürfte das Vorgehen der Zentralbanken dann aber eher vorsichtig und gradueller Natur sein. Für die Zinsstrukturkurve sowohl im US-Dollar als auch im Euro erwarten wir im kommenden Jahr eine Normalisierung. Das bedeutet, dass Laufzeitrisiken bis Ende 2024 wieder mit einer Prämie vergütet werden sollten.

Private Markets: Die Abkühlung des Vorjahres bringt Chancen mit sich

2023 war kein einfaches Jahr für die Private Markets. Der großen Euphorie nach Ende der Corona-Pandemie folgte im vergangenen Jahr, bedingt durch das makroökonomische Umfeld der Dämpfer. Doch für das kommende Jahr gibt es gleich mehrere Gründe, optimistisch zu sein.

Einer davon liegt in der Rendite der Anlageklassen. Im Gegensatz zu den Bewertungen an den öffentlichen Kapitalmärkten erfolgt die Bewertung von Portfoliounternehmen und -objekten in Private-Markets-Fonds nur alle drei Monate mit einer Verzögerung. Die direkten Nachwirkungen des Krisenjahres 2022 waren daher für die Anleger zu Jahresbeginn noch deutlich spürbar. Dennoch konnte insbesondere die größte Anlageklasse der privaten Märkte, Private Equity, über das gesamte Jahr hinweg eine stabile Wertentwicklung für ihre Investoren erzielen. Wenn die positiven Entwicklungen an den Börsen des zweiten Halbjahres sich auch in den Bewertungen von privaten Unternehmen widerspiegeln, dürfen wir also zu Beginn des Jahres mit weiteren Aufwertungen rechnen.

Eine weitere Chance für Private-Equity-Investoren im kommenden Jahr wird das sich verändernde Transaktionsumfeld bieten. 2023 brachte aufgrund steigender Zinsen und hoher Inflation zunächst ein geringes Volumen an Unternehmenskäufen und -verkäufen. Private-Equity-Manager hielten sich mit Investitionen in neue Unternehmen zurück, der Einsatz von Fremdkapital verteuerte sich und erfolgreiche Portfoliounternehmen wurden zunächst nicht verkauft, da die Bewertungsniveaus nicht so stark stiegen wie in der Vergangenheit. Die Preisvorstellungen von Käufern und Verkäufern lagen oft noch auseinander.

Gegen Ende des Jahres stabilisierten sich die Aktivitäten jedoch deutlich. Getrieben von den Höchstständen an den Aktienmärkten und der Aussicht auf eine Stabilisierung des Zinsniveaus kam es wieder zu mehr Unternehmensverkäufen und nach langer Zeit auch wieder zu mehr Börsengängen. Dieser Trend dürfte sich im kommenden Jahr fortsetzen und den Investoren wieder verstärkt Zugang zu Liquidität verschaffen.

Mit zunehmender Liquidität wird es für Anleger natürlich auch wieder vermehrt relevant, Unternehmen zu erwerben. Für Anleger ist es positiv, dass das Bewertungsniveau weiterhin relativ gering im Vergleich zu den Vorjahren ist. Anleger haben in den Zeiten nach einer Krise historisch oft die Möglichkeit, günstige Beteiligungen an vielversprechenden Unternehmen einzugehen.

Künstliche Intelligenz als Wachstumstreiber

Ein weiterer erwähnenswerter Treiber für das Wachstum der Private Markets im kommenden Jahr ist die fortschreitende Einbindung von künstlicher Intelligenz (KI) in mehr und mehr Unternehmen. Im Bereich Venture Capital werden Manager, die früh in KI investiert haben, weiter von der enormen Entwicklung der Branche profitieren können. Im Private-Equity-Bereich eröffnen sich für Manager weitere Möglichkeiten, ihre Portfoliounternehmen aktiv weiterzuentwickeln, indem sie diese bei der Implementierung von KI-basierten Lösungen zur Effizienzsteigerung unterstützen. Wichtig bleibt es in beiden Anlageklassen die Spreu vom Weizen zu trennen und auf Manager zu setzen, die bereits bewiesen haben, dass sie in der Lage sind, die Unternehmen zu identifizieren, die am meisten von einer solchen technologischen Entwicklung profitieren können.

Was bedeutet das für Anleger?

Insgesamt sind wir zuversichtlich, dass auch das kommende Jahr viel Potenzial für eine gute Entwicklung der Kapitalmärkte bietet. Denn ein Umfeld aus nachlassender Inflation und der Aussicht auf erste Leitzinssenkungen könnte im zweiten Halbjahr gute Perspektiven für den Aktienmarkt eröffnen. Anleihen sind so attraktiv verzinst, wie seit Jahren nicht und erlauben bei sinkenden Leitzinsen zusätzliche Chancen auf Kursgewinne. Da geopolitische Spannungen und der Blick auf die US-Wahl für Unsicherheiten sorgen könnten, ist auch in 2024 ein systematisches Risikomanagement und eine breite Diversifikation essenziell. Die Beimischung von unkorrelierten Anlagen wie Private Markets, Rohstoffen und Hedgefonds in einem Portfolio ist eine Strategie, die auch 2024 relevant sein wird.