Märkte

China: Wird der Immobiliensektor zur Wachstumsbremse?

LIQID Smart Letter

September 2023

Das Wichtigste in Kürze:

  • Das Schattenbankensystem und der Immobiliensektor in China lösten in den letzten Monaten große Besorgnis an den Kapitalmärkten aus.
  • Der zweitgrößte chinesische Immobilienkonzern Country Garden steckt in großen finanziellen Schwierigkeiten und auch Zhongrong International Trust, einer der größten Schattenbanken Chinas, verpasste bereits dutzende Zahlungen.
  • Die anbahnende chinesische Immobilienkrise wird das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft weiterhin bremsen, während die Regulierung der Schattenbanken durch die chinesiche Regierung zunimmt.

Um die Diskussion anzustoßen, sollten wir einen Schritt zurücktreten und uns die Bedeutung des Immobiliensektors in China vergegenwärtigen: Im Jahr 2022 machte er nur 6 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Allerdings hat der Immobiliensektor erhebliche Auswirkungen auf andere Sektoren wie das Baugewerbe (7 Prozent des chinesischen BIP), das verarbeitende Gewerbe (28 Prozent) und die Finanzbranche (8 Prozent). Berücksichtigen wir den direkten und indirekten Beitrag, so macht der Immobiliensektor also etwa 20–30 Prozent des chinesischen BIP aus.

Der Immobiliensektor war einst ein wichtiger Motor der chinesischen Wirtschaft, wurde aber in den letzten Jahren zunehmend zu einem strukturellen Problem, das die Wirtschaftsleistung ernsthaft beeinträchtigen könnte. Dieses Problem betrifft nicht nur den privaten Sektor, sondern auch die Kommunalverwaltungen, die ihre Ausgaben häufig durch den Verkauf von Grundstücken an Bauträger finanzieren. Die Probleme im chinesischen Immobiliensektor sind nicht neu. Dennoch wissen wir nur wenig über die Schwierigkeiten, mit denen der Sektor konfrontiert ist, da es oft nur ungenügende Statistiken gibt. Der Mangel an verlässlichen Daten verringert die Transparenz drastisch und erhöht damit das Risiko für Investoren.

Abb. 1: Preise für neue Wohnimmobilien in China (Veränderung zum Vorjahr in Prozent)

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Quelle: LIQID,  Bloomberg. China 70 Cities Newly Built Commercial Residential Buildings Prices YoY Average. Zeitraum: Januar 2011 – Juli 2023.

 

Der Schattenbankensektor

Eine der Hauptauswirkungen des Immobilienabschwungs ist im Schattenbankensektor zu finden. Der Begriff Schattenbankwesen bezieht sich auf ein paralleles Finanzsystem, das außerhalb des traditionellen Regulierungsrahmens operiert. Es besteht aus Vermögensverwaltungsprodukten, Treuhandprodukten, Unternehmenskrediten (Entrusted Loans) und alternativen Finanzierungen. Außerdem hat es eine entscheidende Rolle bei der Bereitstellung alternativer Finanzierungskanäle für Immobilienentwickler und Investoren gespielt. Das von Banken dominierte Schattenbankensystem bietet Darlehen und Kredite für Teilnehmer des Immobilienmarktes an, die möglicherweise für eine traditionelle Bankfinanzierung nicht in Frage kommen. Diese Finanzinstrumente sind jedoch häufig teurer als die vom traditionellen Bankensektor angebotenen, was die höheren Risiken widerspiegelt.

Das Schattenbankenwesen hat zum schnellen Wachstum des chinesischen Immobilienmarktes beigetragen, es birgt aber auch Risiken. Diese ergeben sich z.B. aus dem Potenzial einer übermäßigen Hebelwirkung und spekulativem Verhalten. Die Schätzungen über die Größe des Schattenfinanzierungssystems variieren je nach Quelle, aber ein von der Reserve Bank of Australia veröffentlichter Bericht schätzt die Größe des Schattenfinanzierungssystems in China auf ca. 40 Prozent des chinesischen BIP im Jahr 2019.

Während das Schattenbankenwesen bis 2016 nur sehr geringfügig reguliert war, haben die chinesischen Behörden seitdem verschiedene Vorschriften eingeführt, die darauf abzielen, die Schattenbankenaktivitäten im Immobiliensektor einzudämmen. Zu diesen Maßnahmen gehören strengere Kreditvergabestandards, höhere Transparenzanforderungen und eine verstärkte Überwachung von außerbilanziellen Transaktionen. Die verschärfte Regulierung schränkte die Finanzierungsmöglichkeiten im Immobiliensektor ein, was in den letzten Monaten zum Ausfall mehrerer Baukonzerne führte. Die Meinungen über das Ausmaß der Immobilien- und Schattenbankenproblematik gehen unter Ökonomen auseinander.

Abb. 2: Haushaltsverschuldung relativ zum BIP in China im Vergleich zu ausgewählten Industrieländern

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Quelle: LIQID,  Internationaler Währungsfonds. Stand: Dezember 2022.

Was bedeutet das für die Märkte?

Wir halten die sich anbahnende chinesische Immobilienkrise für eine anhaltende Wachstumsbremse, die die in den letzten Monaten zutage getretenen Schwäche der chinesischen Wirtschaft zusätzlich verstärkt. 

Gründe für die schwache wirtschaftliche Entwicklung sehen wir im mageren Außenhandelswachstum, einem stagnierenden inländischen Konsum angesichts schwächelnder Arbeitsmärkte und einem Einbruch der Investitionstätigkeit der Unternehmen – letztere aufgrund der zunehmenden Unsicherheit hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung Chinas in den kommenden Quartalen. 

Verglichen mit westlichen Volkswirtschaften wird für die chinesische Volkswirtschaft dennoch eine deutlich höhere Wachstumsrate angenommen. Der Internationale Währungsfonds sagt in seinem neuesten Bericht für das Jahr 2023 ein Wachstum von 5,2 Prozent für China voraus. Das liegt deutlich über dem Durchschnitt von 1,5 Prozent, der für entwickelte Länder in diesem Jahr erwartet wird.