Interview Venture Capital: Reale Chancen neben und mit der Künstlichen Intelligenz
LIQID Smart Letter
Mai 2024
Das Wichtigste in Kürze:
- Neben der KI sind vor allem die Bereiche Blockchain sowie vertikale Software-Anwendungen für Manager im Fokus.
- Obwohl die Zinsentwicklung keinen unmittelbaren Einfluss auf Venture-Capital-Deals haben, blicken auch die Experten gespannt auf die Entscheidungen der Notenbanken.
- Das Marktumfeld ist und bleibt einzigartig und bietet Venture-Managern Chancen, wie sie zuletzt mit dem Aufkommen des mobilen Internets gegeben waren.
Künstliche Intelligenz ist aktuell das Thema für alle, die sich mit Venture Capital beschäftigen. Als interessierter Beobachter kann man den Fortschritt der Technologie geradezu sehen. Sei es im Bereich der Sprachmodelle oder in anderen Formen der generativen KI. Fast täglich kommen neue Anwendungen auf den Markt, die uns das Leben erleichtern sollen. Gleichzeitig integrieren immer mehr Softwareanbieter KI in ihre bestehende Infrastruktur. Marktexperten wie Heinrich Riehl, Director of Fundeaising & Client Services bei unserem britischen Venture-Partner VenCap, wissen jedoch, dass die besten Venture-Manager ihre Fühler auch in andere Branchen ausstrecken. Wir haben ihn dazu und zu anderen Themen, die den Markt in den nächsten Monaten bewegen werden, befragt.
Gibt es neben Künstlicher Intelligenz weitere Trends am Venture-Markt, die bisher eine untergeordnete Rolle gespielt haben?
Heinrich Riehl: Die Künstliche Intelligenz ist sicherlich eines der zentralen Themen und das wird auch so bleiben. Letztendlich wird jedes Unternehmen und jeder Verbraucher Künstliche Intelligenz in irgendeiner Form direkt oder indirekt nutzen.
Ein zweites Thema, das aktuell etwas aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit geraten ist, aber das weiterhin massiv Investitionen anzieht und sich weiterentwickelt, ist die Blockchain oder Krypto. Das ist vor allem deshalb interessant, da die Blockchain Lösungsmöglichkeiten bietet für Probleme, die durch die Nutzung der Künstlichen Intelligenz geschaffen werden.
So bietet Photoshop in Zusammenarbeit mit ARM, Intel und Microsoft mittlerweile an, Bilder mit einer Blockchain zu versehen, die jede Veränderung am Bild dokumentiert. Nutzer haben so die Möglichkeit zu überprüfen, ob, wie, wann und von wem das Bild verändert wurde.
Dies ist nur eine von vielen möglichen Anwendungen der Blockchain. Finanzdienstleistungen sind ein weiterer Anwendungsbereich. Verbriefungen zum Beispiel können mittlerweile über die Blockchain abgesichert werden.
Anbieter von Blockchain-Anwendungen haben damit die Möglichkeit, von dem rasanten Wachstum der Künstlichen Intelligenz und deren Ausbreitung in den Unternehmen und all unseren Lebensbereichen zu profitieren.
Eine dritte, sehr wichtige technologische Revolution findet im Bereich der Software-Anwendungen statt. Wir sprechen hier von vertikalen Software-Anwendungen. Was versteht man darunter? Bisher widmen sich Software-Applikationen der Lösung einzelner Prozesse oder Probleme. Die Neuerung besteht darin, dass eine Software über verschiedene Anwendungsebenen hinweg Lösungen anbieten kann.
Ein gutes Beispiel hier ist Navan. Über die Navan-Software können für eine Geschäftsreise Flüge und Hotels gebucht werden. Änderungen der Buchung können direkt vom Reisenden vorgenommen werden. Änderungsmöglichkeiten werden vorgeschlagen, inklusive der zusätzlichen Kosten. Der Reisende kann dann mit der Navan-Karte während der Reise bezahlen. Alle Belege werden ins Abrechnungssystem hochgeladen und gehen dann direkt in die Finanzbuchhaltung zur Abrechnung. Fünf unterschiedliche Prozesse werden vertikal mit einer Software-Anwendung verbunden und friktionslos miteinander verknüpft.
Der Vorteil für das Unternehmen besteht dann nicht nur darin, dass eine neue Lösung gefunden wurde, sondern dass sich die Produktivität eines jeden Mitarbeiters und damit des gesamten Unternehmens deutlich verbessern lässt.
Technologie steht damit nicht nur im Dienst von Neuerungen, sondern erlaubt zusätzlich erhebliche Kosteneinsparungen. Für unsere Venture Manager heißt dies, dass die potentielle Größe der Software-Entwickler, die sie finanzieren, und damit auch deren Wert massiv steigt.
Wenn in der Vergangenheit eine Software-Applikation einen bestimmten Prozess ins Visier genommen hat, dann ermöglicht die vertikale Integration von Software-Anwendungen heute, dass sich ein potenzieller Zielmarkt auftut, der um das 20- oder 30-fache größer ist. Und damit auch der Wert der von unseren Core Managern finanzierten Unternehmen.
Experten rechnen damit, dass die Zentralbanken die Leitzinsen bald wieder senken werden. Welchen Einfluss hätten niedrigere Zinsen auf Venture Capital?
Henrich Riehl: Wie erwartet entspannt sich die Inflationslage weltweit wieder und damit dürfen wir darauf hoffen, dass die Notenbanken die restriktive Geldmarktpolitik lockern werden.
Für Venture Capital hat dies nur mittelbar eine Auswirkung. Venture Capital ist, im Gegensatz zu Private Equity, in der Regel vollkommen eigenfinanziert. Heißt, dass es nicht Teil des Investitionsprozesses ist, Schulden aufzunehmen, und damit zumindest teilweise die Übernahme des Unternehmens zu finanzieren.
Venture Capital stellt den Start-ups Eigenkapital bereit, das sie nutzen, um zu wachsen. Wenn die liquiden Mittel dann aufgebraucht sind und die Wachstumsziele erreicht sind, stellt Venture Capital dann im Zuge einer neuen Finanzierungsrunde weitere liquide Eigenmittel,also Eigenkapital, zur Verfügung.
Die Knappheit oder Verfügbarkeit von Fremdkapital und das vorherrschende Zinsniveau haben entsprechend keine direkte Auswirkung auf die Bewertung oder die Wachstumsaussichten unserer Start-ups.
Aber natürlich kann sich Venture Capital nicht einer allgemeinen Eintrübung des Investitionsklimas und einer größeren Zurückhaltung der Investoren entziehen. Höhere Zinsen führen regelmäßig zu einer Verringerung der Investitionsbereitschaft der Anleger, die sich letztendlich in geringeren Bewertungsniveaus von Unternehmensbeteiligungen niederschlägt.
Das beste Beispiel ist der Aktienmarkt, der typischerweise bei steigenden Zinsen fällt. Geben die Bewertungsniveaus am Aktienmarkt nach, dann spüren dies auch die Investoren in den privaten Märkten. Heißt, dass dann auch die Bewertungen, die Investoren für Venture-Capital- oder Private-Equity-Investitionen bereit sind zu zahlen, fallen.
Wir stellen deshalb fest, dass seit den zyklischen Bewertungshochs in Venture in 2021 die Bewertungen der Start-ups um etwa 20 bis 25 Prozent gefallen sind. Wichtig ist, dass sich die Venture-Bewertungen, anders als die Aktienmärkte, bisher noch nicht erholt haben.
Indirekt und mit einiger zeitlicher Verzögerung beeinflussen also Veränderungen des Zinsumfelds und damit der Investitionsbereitschaft der Anleger, die Bewertungsniveaus zu den Start-ups finanziert werden. Das aktuelle euphorische Umfeld an den Aktienmärkten, in denen Zinssenkungen an Notenbanken antizipiert werden, wird sich damit auch positiv auf das Investitionsklima bei Venture Capital auswirken.
Nicht zuletzt heißt dies, dass sich das IPO-Fenster am Aktienmarkt öffnet und die Venture-Capital-Fonds damit ihre Start-ups zu guten Preisen am Markt platzieren können.
Und damit sind wir in einer nahezu einzigartigen Situation. Einerseits sind die Bewertungsniveaus, zu denen sich unsere Venture-Fonds an den Start-ups beteiligen können, nach der Konsolidierung bisher kaum gestiegen. Andererseits erlauben die Alltime-Highs an den Aktienmärkten Unternehmensverkäufe zu wirklich guten Preisen. Insgesamt damit ein Investitionsumfeld für Venture-Capital-Investoren, das wir als sehr attraktiv bezeichnen können.
Wie schätzen Sie das aktuelle Marktumfeld ein und wo ergeben sich die besten Investitionsmöglichkeiten?
Heinrich Riehl: Wie schon anhand des Beispiels des aktuellen Zinsumfelds ausgeführt, ist das Investitionsklima insgesamt, aber vor allem auch für Venture Capital, sehr attraktiv. Immer noch niedrige Bewertungsniveaus, was den Einstieg in Start-ups betrifft. Gleichzeitig aber Aktienmärkte auf Allzeithochs, die damit in der Lage sind, unseren Venture-Fonds gute Ausstiegspreise zu ermöglichen.
Venture Capital hat immer Unternehmen hervorgebracht, die neue, innovative Lösungen anbieten. Was nun hinzu kommt und was das aktuelle Marktumfeld so einzigartig macht, ist, dass wir vor einer neuen technologischen Revolution stehen. Eine technologische Revolution, angeführt von Anwendungen der Künstlichen Intelligenz.
Das Ausmaß der Veränderungen, die Künstliche Intelligenz bringen wird, ist vergleichbar mit der Entstehung des mobilen Internets im Nachgang der iPhone-Präsentation von Steve Jobs in 2007. Kein Unternehmen kann es sich heute erlauben, nicht im Internet präsent zu sein.
Und damit haben wir in den vergangenen 15 Jahren fantastische Möglichkeiten gesehen, für Start-ups, für vollkommen neue Produkte und Lösungen. Start-ups, die heute Dutzende Milliarden US-Dollar oder Euro wert sind. Uber, Airbnb und Spotify sind nur einige Beispiele.
Etwas Vergleichbares erwarten wir im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Es wird kein Unternehmen und nahezu keinen Verbraucher geben, die nicht in der einen oder anderen Weise Künstliche Intelligenz nutzen werden. Die Möglichkeiten, die sich daraus für Unternehmen ergeben, die es schaffen, diese neue Technologie für Unternehmen und Verbraucher einsetzbar zu machen, sind damit nahezu unbegrenzt.
Neue Technologien enden aber nicht mit Künstlicher Intelligenz. Die Blockchain, vertikale Softwareanwendungen, Cybersecurity, Datencenter-Management, die Automation im Medizinbereich und im Bereich Recht, die Kombination von Hardware und Software und die Verbindung von Klimatechnologien und Deep Tech sind weitere Bereiche, in denen unsere Venture-Manager markante Investitionsmöglichkeiten ausmachen.
Es ist also die Konstellation eines attraktiven Marktumfeldes in Kombination mit neuen Technologien und neuen Produkten, die den aktuellen Investitionsraum strukturell so attraktiv machen. Welche Unternehmen und welche Technologien sich letztendlich durchsetzen, werden wir erst in den kommenden Jahren sehen.
Es ist mir in diesem Zusammenhang wichtig, festzustellen, dass wir bei Vencap keine Technologien vorselektieren und wir unseren Co-Managern damit auch nicht vorgeben, in welche Bereiche sie investieren sollen. Unsere Erfahrung ist, dass wir zu weit von den Start-ups und den Gründern entfernt sind, um wirklich zu verstehen, wo und wann sich etwas Bahnbrechendes entwickelt.
Wichtig für den nachhaltigen Erfolg in Venture ist, dass wir mit Venture-Managern investieren und zusammenarbeiten, die mehrfach und regelmäßig bewiesen haben, dass sie die kommenden Schlüsseltechnologien identifizieren können und dass sie dann auch die Unternehmer finden und unterstützen, die aus Schlüsseltechnologien einzigartige und außergewöhnlich erfolgreiche Unternehmen formen können.