Märkte

USA: Wirtschaftsträgheit

LIQID Smart Letter

Dezember 2023

Das Wichtigste in Kürze:

  • Wie passen steigende Zinsen und eine stabile Wirtschaft zusammen? Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Auswirkungen von Zinserhöhungen auf die Wirtschaft in der Regel mit einiger Verzögerung eintreten.
  • Die US-Wirtschaft hielt sich in 2023 trotz hoher Zinsen sehr stabil. Gründe dafür sind in hohen Staatsausgaben, einer niedrigen Arbeitslosenquote und einem starken privaten Verbrauch zu finden.
  • Mittlerweile zeigen sich erste Schwächen der US-Wirtschaft. Auslaufende Konjunkturpakete, erwartete Haushaltskürzungen und zunehmende Verbraucherkreditraten deuten auf ein geringeres Wirtschaftswachstum in den kommenden Quartalen hin.

In den letzten 20 Monaten haben wir den größten und stärksten Zinsanstieg seit Beginn der „Großen Moderation” Mitte der 1980er-Jahre erlebt (Abb. 1). So wird ein Zeitraum geringerer makroökonomischer Schwankungen in den USA bezeichnet, der Mitte der 1980er-Jahre begann und mit der Finanzkrise im Jahr 2007 endete. Trotz des heute hohen Zinsniveaus – vergleichbar mit dem vor der Zeit vor der globalen Finanzkrise – ist die US-Wirtschaft grundsolide und hat erst kürzlich vierteljährliche BIP-Ergebnisse veröffentlicht, die eher an einen Wirtschaftsboom als an eine Rezession erinnern. Wir fragen uns: Wie passen ein strenges Zinsregime und eine stabile Wirtschaft zusammen? Die vergangenen und aktuellen Wirtschaftsdaten, gepaart mit historischen Erkenntnissen, können Anleger:innen helfen, die Situation zu verstehen. 

Abb. 1: Stärkster Zinsanstieg seit den 1980er-Jahren

Leitzins
Quelle: LIQID, Bloomberg. Leitzins der US-Zentralbank (FED). Zeitraum: 30.11.1983 - 30.11.2023. 

Bequeme Puffer

Ein wichtiger Grund für die Stabilität der US-Wirtschaft trotz hoher Zinsen ist die starke und anhaltende fiskalische Unterstützung. Die massiven Steuerpakete, mit denen die Auswirkungen der Pandemie gemildert werden sollten, dauerten bis weit in das Jahr 2022 hinein und ihre Auswirkungen sind immer noch spürbar. Darüber hinaus haben die USA in den vergangenen zwei Jahren umfangreiche staatliche Ausgabenprogramme aufgelegt, wie den „Inflation Reduction Act” oder den „CHIPS and Science Act”.

Die hohen Staatsausgaben der letzten Jahre haben die Investitionen und das Beschäftigungswachstum angekurbelt.  Das führte anderem dazu, dass die Arbeitslosenquote in den USA so niedrig war wie seit 50 Jahren nicht mehr. In Verbindung mit einem positiven Wachstum der realen Löhne trotz hoher Inflation bietet der starke Arbeitsmarkt einen gewissen Puffer, der der Wirtschaft hilft, höhere Zinsen vorerst zu verkraften.

Wenn die Beschäftigung hoch ist und die Reallöhne steigen, erhöhen die Privathaushalte ihren Konsum und kurbeln das Wirtschaftswachstum an. Schließlich ist der private Verbrauch der wichtigste Faktor für die US-Wirtschaft und macht etwa zwei Drittel der Wirtschaftsleistung (BIP) aus. Außerdem explodierten die Ersparnisse der Haushalte während der Pandemie und dienten seitdem als Puffer für Einkommensverluste. Zudem wurde die Rückzahlung von Studentenkrediten, die sich auf rund 1,6 Billionen US-Dollar belaufen, bis Ende September 2023 ausgesetzt. Zusammengenommen bieten die genannten Faktoren einen komfortablen Puffer gegen die negativen Auswirkungen der hohen Zinsen.

 

Verspätete Auswirkung

Trotz der starken Fundamentaldaten zeigen sich aber erste kleine Risse in der US-Wirtschaft. Mehrere Konjunkturpakete laufen aus und es wird erwartet, dass sich die Staatsausgaben verlangsamen werden, da der Bundeshaushalt in der nächsten Verhandlungsrunde wahrscheinlich gekürzt wird. Darüber hinaus ist die US-Arbeitslosenquote in den letzten Monaten leicht gestiegen, die Rückzahlung von Studentenkrediten hat wieder begonnen, die Sparquote ist gesunken – was einer Erschöpfung des verfügbaren Einkommens gleichkommt – und die Ausfallrate bei Verbraucherkrediten haben zugenommen.

Da die wirtschaftlichen Puffer dünner werden, beginnen sich die negativen Auswirkungen der geldpolitischen Straffung zu entfalten und belasten den Konsum, die Investitionen und die Staatsausgaben. Die zuletzt veröffentlichten schwachen US-Wirtschaftsindikatoren deuten darauf hin, dass diese Phase nun begonnen hat. Schließlich scheinen die negativen Auswirkungen der hohen Zinssätze zu wirken und wir können in den kommenden Quartalen mit einem geringeren Wachstum des US-Wirtschaft rechnen.

 

Abb. 2: Bruttoverschuldung verschiedener Staaten (in Prozent des Bruttoinlandsproduktes)

Bruttoverschuldung-3
Quelle: LIQID, IMF. Stand: Dezember 2023. Zeitraum: 2003 bis 2028.

Was bedeutet das für die Märkte?

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die verzögerten Auswirkungen von Zinserhöhungen auf die Wirtschaft eher die Regel als die Ausnahme sind. Zwischen dem Höchststand der Leitzinsen und dem Höchststand der Arbeitslosenquote liegen, historisch gesehen, zwischen sechs und zwölf Quartale.

Dies deutet darauf hin, dass das Schlimmste im Hinblick auf die Konjunkturabschwächung noch bevorsteht. Angesichts der soliden Fundamentaldaten könnte „das Schlimmste“ dieses Mal jedoch tatsächlich nicht allzu schlimm sein.