KI-Rally: Warum konzentrierte Börsen kein Alarmsignal sein müssen

KI-Rally: Warum konzentrierte Börsen kein Alarmsignal sein müssen
Eine neue Studie zeigt: Die US-Börse ist heute so konzentriert wie selten zuvor, aber anders als viele Anleger fürchten, macht das den Markt nicht riskanter, sondern effizienter.
07 November 2025
4 Min
Svea Sturm
Zurück zur Smart Letter Übersicht

Das Wichtigste in Kürze

  • Der US-Aktienmarkt ist heute so konzentriert wie seit Jahrzehnten nicht mehr, vor allem durch Tech-Giganten wie Apple, Nvidia und Microsoft.
  • Eine neue Studie zeigt: Diese Konzentration erhöht das Risiko nicht. Denn tatsächlich sind große Unternehmen oft stabiler als kleinere.
  • Anleger, die versuchen, Konzentration aktiv zu vermeiden, schneiden langfristig schlechter ab. Buy-and-Hold bleibt die überlegene Strategie.

5 Billionen US-Dollar – so hoch war zwischenzeitlich die Marktkapitalisierung von Nvidia im Oktober. Der Chiphersteller war damit nicht nur das erste Unternehmen, das jemals diese Schwelle erreichte, sondern zeitweise auch größer als sechs der elf Sektoren im S&P-500-Index und größer als alle Aktienmärkte der Welt, mit Ausnahme von fünf. Der Siegeszug von Künstlicher Intelligenz elektrisiert damit nach wie vor die Märkte. Die sogenannten „Magnificent Seven” treiben die Indizes in neue Höhen. 

Die Folge: Zunehmende Skepsis und Warnungen vor einer neuen „Tech-Blase". Zu hoch seien die Bewertungen, zu einseitig die Kursanstiege, zu wenig breite Marktunterstützung.

Doch ist diese Sorge berechtigt? Oder überschätzen wir die Risiken eines konzentrierten Marktes?

Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse

Mark Kritzman (MIT) und David Turkington (State Street) haben sich dieser Frage wissenschaftlich genähert. In ihrer Studie „The Fallacy of Concentration" analysieren sie 100 Jahre US-Börsengeschichte und kommen zu einem bemerkenswerten Ergebnis:

Ja, die Börse ist heute extrem konzentriert. Aber das macht sie nicht riskanter.

Die Studie widerlegt den weit verbreiteten Fehlschluss, dass eine geringe Anzahl dominanter Unternehmen automatisch zu einem instabileren Markt führe. Stattdessen zeigen die Autoren empirisch wie theoretisch: Konzentration ist nicht automatisch mit Risiko gleichzusetzen. Anleger, die sich aktiv gegen die Marktkonzentration positionieren, können sogar ihre Rendite schmälern.

Faktencheck: So konzentriert ist der Markt tatsächlich

Kritzman und Turkington messen die sogenannte „effektive Anzahl an Aktien“ im S&P 500 – ein statistischer Wert, der anzeigt, wie stark oder schwach die Gewichtung auf wenige Titel verteilt ist. Ein hoher Wert steht für breite Streuung, ein niedriger für hohe Konzentration.

  • Aktuell liegt dieser Wert so niedrig wie seit 1998 nicht mehr.
  • Sowohl auf Ebene der Sektoren als auch der einzelnen Unternehmen ist die Konzentration historisch hoch.
  • Diese Entwicklung begann mit dem Aufstieg der Tech-Industrie, zuletzt verstärkt durch den KI-Hype.

Zur Einordnung: Früher lag die effektive Anzahl an Aktien im S&P 500 oft bei über 200, heute sind es phasenweise weniger als 100. Bedeutet das, dass der Markt aus dem Gleichgewicht geraten ist?

Der Test: Bringt weniger Konzentration mehr Sicherheit?

Um diese Frage zu beantworten, entwickeln die Autoren einen cleveren Praxistest:

  • Sie vergleichen eine Buy-and-Hold-Strategie (klassisches passives Investieren) mit einer dynamischen Strategie, die Aktien reduziert, wenn die Konzentration steigt.

Das Ergebnis fällt deutlich aus:

Strategie Buy-and-Hold Dynamisch
Durchschnittlicher Erfolge 5,6 % 4,7 %
Volatilität 10,7 % 12,1 %
Sharpe Ratio 0,52 0,39

Die statische Strategie schlägt die vorsichtige, konzentrationsgesteuerte Variante in jeder Hinsicht: höhere Rendite, geringeres Risiko, bessere Risikoeffizienz.

Warum größere Unternehmen nicht riskanter sind

Die Studie geht noch weiter und analysiert die tatsächlichen Risikoprofile von großen und kleinen Unternehmen. Demnach sind die größten Titel – also genau jene, die den Markt dominieren –  nicht volatiler und nicht anfälliger für Verluste als kleinere Unternehmen. Im Gegenteil:

  • Die 50 größten Aktien im S&P 500 hatten im historischen Vergleich die geringste Volatilität.
  • Sie zeigten bessere Skewness (asymmetrisches Renditeverhalten) und niedrigere Extremverluste (Drawdowns).

Sogar wenn man über 300 kleine Aktien braucht, um dieselbe Marktkapitalisierung wie die Top 10 zu erreichen, ist ihr kombiniertes Risiko nicht geringer als das der Megacaps.

Drei Gründe, warum Konzentration keine Gefahr ist

Die Autoren nennen mehrere überzeugende Argumente, warum die Dominanz weniger Unternehmen nicht zu einer systemischen Bedrohung führt:

1. Große Unternehmen sind sicherer.

Sie sind international diversifiziert, haben mehrere Produkte und Geschäftsfelder, Zugang zu Kapital, erfahrenes Management und stabilere Ertragsquellen.

2. Konzentration ist normal

Erfolgreiche Unternehmen wachsen. Wer innovativ ist und Gewinne erzielt, zieht Kapital an. Die Folge ist Konzentration – kein Fehler des Systems, sondern seine logische Konsequenz.

3.  Der Markt ist effizient

Laut der Efficient Market Hypothesis spiegelt der Preis einer Aktie alle verfügbaren Informationen wider. Wenn Apple, Nvidia oder Amazon hoch bewertet sind, dann aus gutem Grund. Wer aktiv gegen diese Konzentration investiert, spekuliert gegen den Konsens des gesamten Marktes.

Was heißt das für Anleger?

Viele Anleger denken: „So viel KI, so viel Hype. Das muss doch in einer Blase enden." Doch diese Studie zeigt: Konzentration allein ist kein Warnsignal. Wer nur deshalb aus Tech-Titeln aussteigt oder sein Portfolio absichtlich gleichgewichtet, könnte sich langfristig selbst schaden.

Alternativ können Anleger auch auf ein diversifiziertes Portfolio setzen – breit gestreut über verschiedene Anlageklassen hinweg. Entscheidend sind zudem Geduld, Vertrauen in die langfristige Strategie und die Erkenntnis, dass nicht jedes Wachstum eine Blase ist. Strategie und die Erkenntnis, dass nicht jedes Wachstum ist eine Blase.

Sie möchten wissen, wie das in Ihrer Anlagestrategie aussehen kann? Unsere Investment-Experten unterstützen Sie gerne – ob bei der Portfolioaufstellung oder bei Investitionen jenseits des Kapitalmarkts. Jetzt mehr erfahren

Fazit: Die wahre Blase ist die Angst

„The Fallacy of Concentration“ liefert ein starkes Argument gegen die übliche Panik rund um Megacaps und KI-getriebene Märkte. Die Daten sprechen eine klare Sprache: Konzentration am Aktienmarkt ist zweifellos vorhanden, doch sie führt weder zu Instabilität noch liefert sie einen rationalen Grund, das Portfolio panisch in Cash umzuschichten.

Oder um es mit den Worten der Autoren zu sagen: Ein Unternehmen ist eine rechtliche Einheit, aber kein einzelnes wirtschaftliches Risiko. Die Großen sind gekommen, um zu bleiben. Und vielleicht sind sie weniger Problem als vielmehr Anker des Marktes.

Svea Sturm

Investment Analyst, Investment Product und Marketing, LIQID

Svea ist Investment Analystin in der Schnittstelle zwischen den Investment und Marketing Teams. Sie erstellt Marktanalysen über Kapitalmärkte und Private Markets für interne und externe Kommunikation. Dabei fokussiert sie sich vor allem auf die Erstellung von kundenfokussiertem Content.

Inhaltsverzeichnis